ESD Schutz » Massnahmen & Vorschriften am Arbeitsplatz
Veröffentlicht: 12.04.2024 | Lesedauer: 7 Minuten
Gelegentlich kommt es vor, dass man einen deutlich spürbaren elektrischen Schlag bekommt, wenn eine Türklinke oder ein Metallregal berührt wird. Das passiert meist dann, wenn die Luft sehr trocken ist und Schuhe mit gut isolierten Sohlen getragen werden. Fachleute sprechen in diesem Fall von der Berührungs-Elektrizität oder auch von der Reibungs-Elektrizität.
In den meisten Fällen sind derartige Stromschläge für die betroffenen Personen zunächst überraschend und manchmal auch unangenehm. Lebensgefährlich ist dieses Phänomen aufgrund der geringen Stromstärke aber definitiv nicht. Bei elektronischen Bauteilen hingegen sieht die Sache schon ganz anders aus. Denn durch die stetig voranschreitende Miniaturisierung rücken die spannungsführenden Bereiche immer dichter aneinander. Selbst bei einer schwachen statischen Aufladung reicht die Energie problemlos aus, um Bauteile, Elektronikkomponenten, Sensoren oder komplette Schaltungen umfänglich zu zerstören. Darum müssen geeigneten Schutzmaßnahmen ergriffen werden, um diesen Effekt zu verhindern. Um die Gefahr einer elektrostatischen Aufladung zu verringern, zeigen wir Ihnen gerne was zu tun ist und welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Eine elektrostatische Entladung oder ESD (Electrostatic Discharge) findet immer dann statt, wenn an zwei Körpern hohe Potentialunterschiede vorhanden sind. Bei einem Potentialunterschied herrscht an einem Körper ein Elektronenmangel (Pluspol) und am anderen Körper ein Elektronenüberschuss (Minuspol). Statische Potentialunterschiede können dann entstehen, wenn zwei elektrisch nicht geladene Gegenstände in Kontakt kommen, getrennt werden oder aneinander reiben. Dabei geben Materialien mit einer schwachen Elektronenbindung ihre Elektronen an Materialien mit einer stärkeren Elektronenbindung ab.
Eine Person, die beispielsweise in gut isolierten Schuhen mit Gummisohlen über einen Teppichboden aus Kunstfasern läuft, nimmt über die Schuhe Elektronen auf und kann sich somit schnell elektrostatisch negativ aufladen. Die Spannung kann dabei mehrere 100 Volt betragen. Wird anschließend eine Türklinke mit guter Ableitfähigkeit berührt, findet ein Ladungsaustausch statt und die Elektronen fließen in Richtung Erde ab. Je nachdem, wie hoch die statische Aufladung war, kann bereits kurz vor der Berührung ein Überschlag stattfinden. Die Entladung geschieht dann im Bruchteil einer Sekunde, wobei die Ladungsdifferenz bzw. der Spannungsunterschied wieder ausgeglichen wird.
Obere Skizze: Zwei elektrisch ungeladene Atome (A und B) mit der gleichen Anzahl von Elektronen und Protonen.
Mittlere Skizze: Durch Reibung/Kontakt findet eine Elektronenübertragung statt.
Untere Skizze: Durch die Aufnahme eines Elektrons ist Atom A negativ geladen und durch die Abgabe eines Elektrons ist Atom B positiv geladen.
Hinweis: Zwecks einfacher Darstellung wurden zwei Atommodelle (A und B) mit gleicher Anzahl an Elektronen und Protonen gewählt.
Für gesunde Personen ist eine elektrostatische Entladung zwar unangenehm, hat aber meist keine ernsten Folgen. Im Gegensatz dazu können im Bereich der Elektronik und Elektrotechnik sowohl massive als auch umfangreiche Beschädigungen auftreten.
Schäden an Halbleiter-Bauteilen
Die hohen Spannungen, die bei elektrostatischen Entladungen auftreten und die damit zusammenhängenden Stromspitzen können Transistoren oder integrierte Schaltkreise in Sekundenbruchteilen unbrauchbar machen. Denn diese Bauteile reagieren sehr empfindlich, wenn die zulässigen Grenzwerte überschritten werden.
Schäden an elektrischen Schaltungen
In elektrischen Schaltungen sind viele Komponenten direkt miteinander verbunden oder elektromagnetisch gekoppelt. Dadurch können elektrostatische Entladungen massive Störungen und Fehlfunktionen verursachen, die sich auf die komplette Schaltung inkl. aller angeschlossenen Systeme negativ auswirken.
Beschädigung von Sensoren und Messeinrichtungen
Sensoren und Messeinrichtungen sind oft mit hochempfindlichen Eingängen ausgestattet, um die geforderten Messaufgaben präzise erfüllen zu können. Entsprechend sensibel reagieren die Systeme, wenn im Falle einer elektrostatischen Entladung die anliegenden Spannungswerte um ein Vielfaches höher sind.
Schäden an Platinen und Leiterplatten
Nicht nur die auf den Leiterplatten eingesetzten Bauteile können Schaden nehmen. Auch die Platinen selbst sind gefährdet. Bei entsprechend hohen Spannungswerten kann es bei eng nebeneinander liegenden Leiterbahnen zu Spannungsüberschlägen kommen. Zu hohe Stromspitzen können die Leiterbahnen überlasten und zerstören.
Schäden durch Datenverlust
Beim Einsatz von elektronischen Speichermedien können elektrostatische Entladungen zu einem teilweisen oder kompletten Datenverlust führen. Abgesehen von den verloren gegangenen Daten, können komplette Maschinen und Produktionsanlagen ausfallen, wenn der Datenspeicher das erforderliche Betriebssystem beinhaltet hat.
Im bereits angesprochenen Beispiel mit dem Teppichboden und der Türklinke muss die statische Spannung eine Höhe von ca. 3500 V aufweisen, damit die Entladung spürbar wird. Im Fall von ESD-sensiblen Bauteilen (ESDS für Electrosatic Discharge Sensitive) reicht eine deutlich geringere Spannung aus, um sie dauerhaft zu beschädigen. Dadurch realisieren die Personen, die bei der Berührung von Halbleitern ESD-Schäden verursachen, oft nicht, was sie angestellt haben.
Doch nicht nur das. Die Beschädigungen an Halbleitern durch ESD sind mit bloßem Auge nicht sichtbar. Selbst eine Funktionsprüfung innerhalb des vorgesehenen Schaltungsaufbaus ist keine Garantie dafür, dass die Halbleiter auch auf Dauer störungsfrei arbeiten.
Aus diesem Grund ist es bei der Herstellung und bei der Verarbeitung von ESDS-Bauteilen unbedingt darauf zu achten, dass eine elektrostatische Aufladung bereits im Ansatz zuverlässig vermieden wird.
Dazu werden unterschiedliche technische Hilfsmittel verwendet, auf die wir anschließend noch genauer eingehen wollen.
Ein gut funktionierender ESD-Schutz ist immer dann erforderlich, wenn Bauteile, Baugruppen oder komplette Geräte empfindlich auf elektrostatische Entladungen reagieren und geschützt werden müssen. Da mittlerweile in vielen Produkten umfangreiche elektronische Steuerungen verwendet werden, weitet sich der Einsatzbereich, in dem ein wirkungsvoller ESD-Schutz zwingend erforderlich ist, zunehmend aus. Zu den Haupteinsatzbereichen zählen unter anderem:
- Consumer-Electronic und Elektrotechnik
- Steuerungen in der Industrieautomation
- Komponenten für den Computerbau
- Komplexe Kommunikationselektronik
- Steuerungssysteme für den Fahrzeugbau
Dabei bezieht sich der ESD-Schutz nicht nur auf die Produktion oder den Service. Auch bei der Entwicklung, bei der Qualitätssicherung, bei den diversen Verpackungen und sogar im Versandlager muss beispielsweise über eine effektive Erdung ein nahtloser ESD-Schutz gewährleistet sein.
Eine elektrostatische Entladung kann nur stattfinden, wenn zuvor eine elektrostatische Aufladung stattgefunden hat. Um das zu verhindern, gibt es zwei Lösungsansätze, die ineinander greifen:
1. Die statische Aufladung von Gegenständen und Personen kann durch eine elektrische Ableitung der Elektronen effektiv unterbunden werden.
2. Der Strom bei einer Entladung sollte durch elektrische Widerstände begrenzt werden, damit der Ladungsaustausch deutlich verlangsamt wird.
Dazu werden die Elektronen, die von Stoffen mit schwacher Elektronenbindung abgegeben werden, über geeignete Verbindungskabel an das Erdpotential abgeleitet. Die wichtigsten dazu genutzten ESD-Schutzmaßnahmen wollen wir etwas genauer vorstellen:
ESD-Schutzzonen
Für den Umgang und die Lagerung von ESD-empfindlichen Komponenten werden speziell gekennzeichnete EPA-Schutzzonen (Electronical Protected Area) eingerichtet. Alle Bestandteile der Schutzzone sind mit dem Erdpotential verbunden.
ESD-Arbeitsplätze
Für die Verarbeitung von ESD-empfindlichen Bauteilen werden ESD-Arbeitsplätze mit Erdungsanschluss genutzt. Die Arbeitsplätze verfügen über leitfähige Böden, Tischmatten und Anschlüsse für Handgelenkbänder und Fußbänder.
ESD-Kleidung
Synthetische Kleidung lädt sich extrem schnell auf. Das erkennt man, wenn beispielsweise ein Pullover aus Kunststofffasern ausgezogen wird. Antistatische Kleidung, Schuhe und Handschuhe verhindern durch ihre elektrische Leitfähigkeit eine Aufladung.
ESD-Schutzverpackungen
Die verwendeten Verpackungen und Aufbewahrungsboxen müssen aus ableitfähigem Material sein, damit eventuell entstehende statische Aufladungen nicht ins Innere gelangen können. Bei korrekter Handhabung erfolgt eine zuverlässige Ableitung.
Erdungsanschluss
Ein gut leitender Erdungsanschluss mit einem geringen Innenwiderstand ist für alle ESD-Maßnahmen eine wichtige Voraussetzung. Schließlich sollen bereits geringste statische Spannungen zuverlässig und in vollem Umfang abgeleitet werden.
Normen und Schulungen
Die DIN EN 61340-5-1 (VDE 0300-5-1) definiert die allgemeinen Anforderungen zum Schutz von elektronischen Bauelementen gegen elektrostatische Phänomene. Die zuständigen Personen müssen diesbezüglich kontinuierlich geschult und sensibilisiert werden.
Idealerweise befindet sich ein ESD-Arbeitsplatz innerhalb einer Schutzzone (EPA). Die Schutzzone kann entweder den einzelnen Arbeitsplatz, einen kompletten Raum mit mehreren Arbeitsplätzen oder sogar ein ganzes Gebäude beinhalten. Die finale Ausstattung eines ESD-Arbeitsplatzes ist letztendlich von der Art und vom Umfang der dort durchzuführenden Tätigkeiten abhängig. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass gewisse Ausstattungsmerkmale und ESD-Schutzmaßnahmen unbedingt vorhanden sein müssen.
ESD-Tische und Aufbauten
Ein ESD-Arbeitstisch sollte ergonomisch anpassbar sein, damit auch längere Zeit ermüdungsfrei gearbeitet werden kann.
Der Tisch, als auch die Aufbauten, müssen geerdet werden, damit der Arbeitsplatz immer ladungsneutral bleibt.
Arbeitsplatzmatten
Für die Einrichtung von temporären ESD-Arbeitsplätzen haben sich ESD-Tischmatten bestens bewährt.
Diese bieten Anschlussmöglichkeiten für eine Handgelenk- und Fußerdung und können über ESD-Erdungsstecker an Steckdosen angeschlossen werden.
Personenerdung
Personen neigen aufgrund ihrer Bewegungen vornehmlich zu statischen Aufladungen.
Darum müssen besondere Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Dazu zählen ESD-Schuhe, ESD-Armbänder, ESD-Stühle und ESD-Bekleidung.
ESD-Fußboden
Der Fußboden muss gemäß der Norm DIN EN 61340-5-1 ableitfähig sein oder es sollten geeignete ESD-Matten für den Fußboden verwendet werden.
Zudem muss der Bodenbereich mit geeigneten Markierungen als ESD-Zone ausgewiesen werden.
ESD-Stühle
Wie Arbeitstische sollten auch ESD-Stühle ergonomisch sein und sich individuell auf die benutzenden Personen einstellen lassen.
Dank der Ableitfähigkeit findet keine nennenswerte Aufladung statt, wenn der Stuhl bei der Arbeit über den Boden gerollt wird.
Werkzeuge und Geräte
Die benötigten Werkzeuge wie beispielsweise Pinzetten, Schraubendreher und Zangen sollten ebenfalls ableitfähig sein.
Hilfsmittel wie Lötstationen oder die benötigten Messgeräte sollten in jedem Fall auch den erforderlichen ESD-Schutz aufweisen.
Aufbewahrungsboxen und Transportsysteme
Die zu bearbeitenden Gegenstände müssen ablaufbedingt zu den ESD-Arbeitsplätzen gebracht, gelagert und auch abtransportiert werden.
Dazu sind ESD-Transportwagen, ESD-Sortimentskästen, ESD-Beutel und ESD-Boxen zu verwenden, die über eine Ableitfunktion verfügen.
Wichtiger Hinweis: Um bei den Böden und den Ablageflächen die Ableitfunktion nicht zu verschlechtern, sind geeignete Reinigungsmittel zu verwenden. Handelsübliches Bodenwachs beispielsweise würde die Ableitfähigkeit der Bodenbeläge bzw. der Bodenoberfläche signifikant verschlechtern.
Ist ein wirksamer ESD-Schutz wirklich wichtig?
Definitiv ja. Denn zerstörerische ESD-Impulse werden von den verursachenden Personen meist nicht spürbar wahrgenommen. Die statischen Entladungen können aber große Schäden anrichten. Zumal die Fehler je nach Beschädigung nicht zwangsweise gleich auftreten. Unnötige Systemausfälle, teure Reparaturen und ein erheblicher Imageverlust bei fehlerhaften Produkten addieren sich schnell zu einer nicht unerheblichen Schadenssumme.
Gibt es Faktoren, die die Entstehung elektrostatischer Ladungen begünstigen?
Es gibt viele Faktoren, welche die Höhe und die Polarität der Aufladung beeinflussen. Dazu zählen unter anderem Art und Oberflächeneigenschaften des Materials und Umgebungsbedingungen wie die Luftfeuchte. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60% wird die Ladung in der Regel über die Luft abgegeben. Das ist bei trockener Heizungsluft beispielsweise nur eingeschränkt möglich. Eine geringe Luftfeuchte begünstigt daher das Entstehen elektrostatischer Ladungen.
Was versteht man unter dem Begriff „antistatisch“?
Elektronische Bauteile und Materialien werden als antistatisch bezeichnet, wenn sie eine statische Aufladung verhindern oder verringern. Das kann entweder durch Ableitung elektrischer Ladungen oder durch Reduzierung der Reibung erfolgen.
Kann die Funktionalität eines ESD-Arbeitsplatzes geprüft werden?
Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen ESD-Testgeräten, mit denen sich die Funktionalität eines ESD-Arbeitsplatzes oder die Einrichtungen einer ESD-Schutzzone (EPA) messtechnisch genau überprüfen lässt.
Wozu werden ESD-Erdungsstecker benötigt?
Ein Erdungsstecker nutzt den Schutzkontakt einer Netzsteckdose, um die zur Ableitung erforderliche Verbindung zum Erdpotential herzustellen. Dadurch sind keine größeren Installationsarbeiten oder Kabelverlegungen erforderlich.